644 - Nicht mit mir
Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt etwas zu dem Thema "Anschläge in Paris" schreiben möchte oder nicht. Da es mich aber so beschäftigt, muss ich mir hier ein wenig Luft machen.
Ich finde es erschreckend, wie auf diese sicherlich sehr furchtbaren, Anschläge reagiert wird. Mich hat es betroffen gemacht, als ich erst Samstag früh davon erfuhr und auch ich habe gleich nachgeschaut, was dort passiert ist. Paris ist nah und ich habe Bekannte, die dort leben. So trifft es mich mehr, als andere schlimme Geschehen. Trotzdem regt es mich mittlerweile auf, dass jedes Profilbild im Gesichtsbuch blau-weiß-rot eingefärbt ist, immer wieder Postings zur Schweigeminute kommen, immer wieder dazu aufgerufen wird für Paris zu beten und tausende von Bildern geteilt werden, auf denen die verschiedensten Gebäude der Welt in blau-weiß-rot angestrahlt sind.
Warum wird dieses Ereignis jetzt so zelebriert? Warum gedenken wir nicht der Menschen, die bei einem Attentat in der Türkei ums Leben kamen? Oder den Menschen in Beirut, die in der letzten Woche durch Terroranschläge des IS ums Leben kamen? Sind ihre Leben weniger wert als die der Pariser Bürger und der Pariser Touristen? Warum wird Solidarität mit Frankreich gezeigt, aber nicht mit anderen Staaten?
Und warum, verdammt nochmal, ist es jetzt in Ordnung, dass Frankreich Stellungen in Syrien bombadiert, die vermutlich zum IS gehören? Wie viele unschuldige Menschen sterben dort? Wie viel schlimmer wird nun das Leben für die Zivilisten dort?
Und warum zur Hölle muss das christliche Abendland, das so viele ja gerne sein wollen, nach dem Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn" handeln? Was ist denn mit der anderen Wange, die wir hinhalten sollen? Was ist mit der Liebe zu unseren nächsten? Wo sind die Friedensstifter?
So etwas Ähnliches habe ich heute auch in mein Tagebuch notiert, mehr als ein Satz waren mir die Ereignisse "nicht wert" - ich finde alles einfach nur unmenschlich. Wenn im Osten etwas passiert, ist das vielleicht noch eine Randbemerkung in der Presse, wenn nicht gar nur eine Fußnote - kaum kommt der Terror im Westen an, ist alles ganz schrecklich und ein Weltereignis.
Mir geht die Motivation für eine solche Unterscheidung nicht in den Kopf, ich kann mir die mögliche Motivation dafür nicht einmal vorstellen, so fern vom Schuss liegen diese Unterscheidungen für mich. Und dann dieser wilde Aktionismus... aber bei der Politik und Hetze dieser Tage kriege ich eh das Kotzen.
Ich bin ehrlich: Ich verfolge diese Dinge nicht mehr als nötig und was an Verfolgung nötig ist, entscheide ich nach Tageslaune. Ehrliches Desinteresse ist mir Tausend mal lieber als irgendeine geheuchelte Anteilnahme - und als geheuchelt empfinde ich übrigens auch reflexartige Anteilnahme. Und dann fällt den Leuten ganz plötzlich und akut ein, dass ja was getan werden muss. Und da ist es auch egal was - Hauptsache irgendwas. Statt zuzugeben, dass man vielleicht erstmal die Füße stillhält, ehe man was Praktikables gefunden hat, auch wenn es etwas dauert.